VABÖ Buchtipp:
„Weniger ist mehr“, denn ohne Wachstum geht’s uns besser
Weniger Ressourcen zu konsumieren ist eine unbedingt notwendige Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Wie Weniger auch mehr sein kann, erläutert Jason Hickel in seinem Buch „Weniger ist mehr“ anhand einer anschaulichen Analyse unseres auf Wachstum aufgebauten Wirtschaftssystems sowie funktionierender Alternativen.
Bücher über die Klimakrise und die Notwendigkeit eines Systemwandels gibt es mittlerweile schon einige. Heute wollen wir Ihnen eine Abhandlung vorstellen, die sehr greifbaren, verständlichen und umsetzungsfokussierten Input zum Thema liefert. Jason Hickel wirft in seinem Buch „Weniger ist mehr“ einen analytischen Blick nach hinten, nach vorne und schließlich auf die Gegenwart und deckt Verbindungen zwischen Kapitalismus, dem allgegenwärtigen Wirtschaftswachstumsparadigma, immer noch wirkendem Kolonialismus und Klimakrise auf. Und das auf sehr lesbare und eingängige Art.
Wir müssen raus aus dem Wachstumismus
„Es ist nicht möglich, unsere ökologische Krise mit dem gleichen reduktiven Denken zu begreifen, das diese überhaupt erst verursacht hat.“ (S.22) heißt es bereits zu Beginn des Buches. Größere Zusammenhänge zu erkennen und nach diesen zu handeln ist also die Devise, um eine lebenswerte Zukunft für Alle zu ermöglichen. Der viel zu selten hinterfragte Wachstumismus der Wirtschaft muss dafür jedoch endgültig überwunden werden:
„Während das BIP wächst, wälzt die Weltwirtschaft jedes Jahr immer größere Mengen an Energie, Ressourcen und Abfall um, bis zu dem Punkt, an dem sie jetzt dramatisch über das hinausschießt, was die Wissenschaft als sichere planetare Grenzen definiert hat, mit verheerenden Folgen für die lebendige Welt.“ (S.34)
Am schlimmsten sind die Auswirkungen dabei für die Länder des globalen Südens – jene, die auch schon während der Kolonialisierung ausgebeutet wurden. History repeats itself – wird doch dort die Klimakrise am stärksten und dramatischsten zu spüren sein.
„Der Süden hat zweimal gelitten: zuerst durch die Inbesitznahme der Rohstoffe und der Arbeitskraft, die den industriellen Aufstieg des Nordens antrieben, und nun durch die Inbesitznahme des atmosphärischen Gemeinguts durch die Industrieemissionen des Nordens. Wenn unsere Analyse der Klimakrise diesen kolonialen Dimensionen keine Beachtung schenkt, dann geht sie an der Sache vorbei.“ (S.140)
Hickel spart auch nicht mit Kritik an dem seit Jahrhunderten vorherrschenden dualistischen Narrativ Mensch – Natur. Die Durchsetzung dieses von Descartes geprägten Dualismus ermöglichte erst die Unterwerfung der Natur durch den Menschen sowie im Kolonialismus der der Natur zugehörig angesehenen „Wilden“.
Ware wird zu Profit wird zu Kapital
Hickel betont weiters den Unterschied zwischen Gebrauchswert-Ökonomie – ein nützliches Ding zu Geld machen um damit ein anderes nützliches Ding zu kaufen – und profitorientierter Tauschwert-Ökonomie – Geld zu Ware zu machen um damit mehr Geld zu machen, das wieder zu Ware wird und dann zu noch mehr Geld. In der Tauschwert-Ökonomie wird Profit zu Kapital.
„Und Sinn und Zweck des Kapitals ist, dass es reinvestiert werden muss, um noch mehr Kapital zu erzeugen. Dieser Prozess hat kein Ende – er expandiert einfach immer weiter.“ (S.106)
Messindikator dafür ist das Wachstum des Brutto-Inlandsproduktes (BIP) – „im Grunde ein Indikator für das Wohlbefinden des Kapitalismus“ (S.119) Erbarmungslos entlarvt wird von Hickel zudem der Mythos der Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch und das Konzept des „grünen Wachstums“:
„Beim ‚grünen Wachstum‘ steckt nichts dahinter. Es lässt sich empirisch nicht stützen. […] In einer Zeit des ökologischen Notstands können wir es uns nicht leisten, eine politische Strategie auf Phantasiegebilden aufzubauen.“ (S.38)
Alternativen sind erprobt und möglich
Dass es möglich ist, anders zu wirtschaften, hat sich historisch immer wieder bewiesen, und auch heute gibt es Länder, in denen ein die planetaren Grenzen achtendes Wirtschaftssystem funktioniert und Wohlbefinden über Kapital gestellt wird.
„Wir können eine Wirtschaft schaffen, die um das menschliche Wohlbefinden herum organisiert ist und nicht um die unendliche Akkumulation von Kapital; mit anderen Worten: eine postkapitalistische Wirtschaft. Eine Wirtschaft, die fairer, gerechter und mitfühlender ist.“ (S.45)
Wir kann nun aber eine funktionierende Alternative abseits von Kapitalismus und Wachstumsparadigma aussehen und was braucht es dazu?
„Durch die Dekommodifizierung öffentlicher Güter, die Ausweitung der Gemeingüter, die Verkürzung der Arbeitswoche sowie die Reduktion der Ungleichheit können wir die Menschen befähigen, auf die Güter zuzugreifen, die sie für ein gutes Leben brauchen, ohne dass dafür zusätzliches Wachstum nötig wäre.“ (S.264)
Hinsichtlich der dafür nötigen Änderung der Denkweise finden sich Antworten beispielhaft bereits in einigen Kulturen und Denkrichtungen, etwa dem Animismus. Dies ist das Verständnis, das alles miteinander verbunden ist und das Nehmen mit dem Geben in Ausgleich stehen muss. Wenn der Mensch seine selbstzugewiesene Rolle des Ausbeuters aufgibt und sich stattdessen als Teil eines Systems mit der Natur begreift, mit ihr auf Augenhöhe, so kann es gelingen, im Einklang mit anderen Lebewesen und Ökosystemen zu leben.
Ein einziger Kritikpunkt hat sich uns bei der Lektüre aufgedrängt: Hickel setzt Kreislaufwirtschaft – wie es leider immer noch oft geschieht – mit Recycling gleich und verwendet die damit zusammenhängenden Begrifflichkeiten nicht präzise. Hier handelt es sich jedoch um begriffliche Unschärfe; seine Kritik am alleinigen Fokus mancher Wirtschaftstreibenden auf Recycling ist jedoch wiederum berechtigt und wird von uns geteilt.
Insgesamt ist „Weniger ist mehr“ eine unbedingte Leseempfehlung und es würde uns freuen, wenn dieser Einblick ins Buch hat Sie zur Lektüre animiert – und dazu, sich selbst am Umbau unseres Wirtschaftssystems hin zu einem guten Leben für Alle zu beteiligen.
Mehr Infos …
Infos zum „Weniger ist mehr“ auf der Website des oekom Verlag
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