Brauchen wir noch Wirtschaftswachstum?
Damit die Wirtschaft wächst, sollen wir mehr konsumieren, der Staat soll Geld ausgeben, wir sollen mehr arbeiten, aber gleichzeitig effizienter werden, damit am Ende mehr Gewinn übrig bleibt. Das ist dann Wirtschaftswachstum, das vor allem den alten EU-Ländern gerade Sorgen bereitet. Um die Wachstumsmaschinerie am Laufen zu halten, werden unnötig viele Ressourcen verbraucht, während Prognosen zufolge die weltweiten Siedlungsabfälle bis 2050 auf 3,4 Milliarden Tonnen anwachsen sollen. Geht das nicht auch anders? 200 WissenschaftlerInnen meinen ja.
2,1 Milliarden Tonnen Siedlungsabfall entstehen weltweit jedes Jahr, bis 2050 werden es sogar 3,4 Milliarden Tonnen sein, das schätzt die World Bank Group in einem aktuellen Bericht. Österreich produziert im Verhältnis dazu nur einen kleinen Teil und verfügt darüberhinaus über verhältnismäßig gute Recyclingsysteme. Tatsache ist aber, dass bei allem, was wir konsumieren, schon vorher Abfälle angefallen sind, nur eben keine Haushaltsabfälle: Produktionsabfälle, Ausschussware, Verpackungen, Industrieabfälle, LKW-Ersatzteile etc. Natürlich sind Abfälle für die Industrie teuer und so werden die Verfahren laufend verbessert, um weniger von ihnen zu produzieren. Aber insgesamt sind steigende Abfallmengen, insbesondere bei den Haushalten, ein Zeichen von mehr Konsum und mehr Wirtschaftsleistung. Deshalb rechnet auch die World Bank Group mit eineinhalb Mal so viel Siedlungsabfall bis 2050, weil bis dahin weltweit der Wohlstand wachsen soll: In reichen Ländern werden 2050 voraussichtlich 19% mehr Abfall produziert, aber 40 % mehr sollen es in ärmeren und in den Schwellenländern sein. Es scheint ein Teufelskreis zu sein: Mit dem Wohlstand steigen der Ressourcenverbrauch und die Abfallmengen. Geht das auch anders?
Wirtschaftswachstum in der Kritik
Was ist Wohlstand eigentlich? Wohlstand und Erfolg von Staaten werden heute allgemein daran gemessen, wie groß das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist und wie stark es wächst. Mittlerweile wird der BIP-Ansatz aber oft kritisiert, weil er zum Beispiel nur das berücksichtigt, was mit Geld bezahlt wird. Unbezahlte Pflegearbeit und Ehrenamt können nicht eingerechnet werden. Diese Tätigkeiten haben also keinen unmittelbaren Effekt für das BIP, auch wenn sie über Umwege vermutlich einen positiven Effekt haben, wie zum Beispiel das Aufziehen von Kindern.
Ein weiteres Problem ist, dass das BIP nicht einfach hoch sein soll, es soll höher sein als das vom Jahr davor. Für die Politik heißt das, sie muss Maßnahmen setzen, welche die Konjunktur ankurbeln. Die messbare Wirtschaft soll wachsen. Aber bereits seit einigen Jahren wird Kritik laut: Es werden nur finanzielle Kriterien berücksichtigt, also gehen auch die Anreize, die die Politik setzt, in diese Richtung. Umweltschutz, Soziales, Kultur bleiben auf der Strecke. Mittlerweile ist klar geworden, dass die Wirtschaft sich selbst den Boden unter den Füßen abgräbt: Wenn immer mehr Ressourcen verbraucht werden, als nachwachsen können, werden sie irgendwann aufgebraucht sein. Die WachstumskritikerInnen lehnen es deshalb ab, dass Wirtschaftswachstum um jeden Preis und ohne Rücksicht auf die Umwelt und die Menschen betrieben wird.
Vom Wachstum unabhängig werden
Das Wuppertal Institut und das deutsche Umweltbundesamt zeigen auf, dass es nicht darum geht, Wachstum an sich abzulehnen oder zu befürworten, sondern die Wirtschaft und insbesondere solche sensiblen Bereiche wie Pensionen, Umwelt und den Sozialbereich vom Wachstum unabhängig zu machen und zu schützen. Das deutsche UmweltbundeamtIm vergangenen Herbst haben über 200 WissenschaftlerInnen einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie die europäischen Länder kritisieren, die sich immer noch am Wirtschaftswachstum orientieren: Je reicher ein Land ist, desto langsamer wächst es in der Regel, die Entwicklungssprünge sind einfach nicht mehr so groß wie bei einem ärmeren Land. Wachstum passiert dann oft nur noch, wenn die Produktion günstiger wird, wenn also z.B. die arbeitende Bevölkerung zum Beispiel für weniger Geld gleich viel arbeitet oder aber für gleich viel Geld mehr arbeitet, Sozialleistungen gekürzt werden und der Umweltschutz zurückgeht. Für Europa sei es aber im Sinne des allgemeinen Wohlstands und der wirtschaftlichen Stabilität nicht sinnvoll, weiterzuwachsen, sondern den Reichtum, den es schon gibt, besser zu verteilen.
Kreislaufwirtschaft statt linearem Wachstum
Die Kompromissform, welche die EU aktuell verfolgt und die auch der VABÖ unterstützt, ist die Kreislaufwirtschaft. Das ist eine Wirtschaftsform, in der Wachstum möglich ist – darüber, was sinnvollerweise wachsen soll und was nur zu mehr Abfall und Verschwendung ohne wirklichen Nutzen führt, müssen wir weiterhin diskutieren. Gleichzeitig werden aber weniger Ressourcen verbraucht, weil die Materialien, die einmal verarbeitet und in Umlauf gebracht werden, am Ende nicht in der Verbrennungsanlage oder auf einer Deponie landen, sondern weiterverwendet oder wiederverarbeitet werden (Stichworte Re-Use und Recycling). Wir empfehlen Ihnen dazu das VABÖ-Blatt 2|2018 mit dem Topthema Circular Economy.
Weitere Infos …
Open Knowledge Repository/World Bank Group: What a Waste 2.0: A Global Snapshot of Solid Waste Management to 2050 (Englisch)
Frankfurter Allgemeine Zeitung: Das Bruttoinlandsprodukt und das Glück
Wuppertal Institut: Streitpunkt Wachstum
Umweltbundesamt: Gesellschaftliches Wohlergehen innerhalb planetarer Grenzen
Die Zeit: Schluss mit WachstumWachstumWachstum